Visionen brauchen Aufmerksamkeit. Wer sich gezielt weiterentwickeln möchte, richtet den Fokus entsprechend aus. Wie das gelingen kann, beschreibt die Geschichte der Tischtennislegende Peggy Pong.
Wir spielten zusammen im Tischtennisverein SV18. Sie war meine Trainingspartnerin und ist meine beste Freundin. Als wir uns kennenlernten, war sie längst keine Anfängerin mehr. Sie war für ihr schnelles Spiel bekannt, sehr ehrgeizig und hatte bereits Erfahrungen in der Kreisklasse. Mit vielen Spielarten war Peggy schon vertraut. Nun wollte sie sich professioneller aufstellen und in die nächste Liga aufsteigen.
Dazu nahm sie an einem Trainingscamp des SV18 teil, in dem sie u. a. von zwei Mentalcoaches begleitet wurde. Während dieser Zeit hat sie sich enorm entwickelt. Sie war selbst ganz fasziniert und hat mir viel darüber erzählt. Eine Disziplin im Trainingscamp war wohl die Aufmerksamkeitsfokussierung. Zu meiner Überraschung standen dabei nicht die Leistungsschwächen und Defizite im Fokus, sondern das, was schon gut lief oder das Ziel war. Das nannte sich dann systemisch-lösungsorientierter Ansatz. Dabei ging es im Wesentlichen darum, sich an den vorhandenen Ressourcen zu orientieren, erklärte mir Peggy.
Bei ihrer ersten Begegnung mit den Mentalcoaches wollten sie zum Beispiel nicht wissen, worin sie sich verbessern wollte, sondern was ihre kühnste Hoffnung sei! Ich habe Peggys Begeisterung noch im Ohr: „Stell Dir vor, meine kühnste Hoffnung! Da habe ich gesagt, ich will es in die Landesliga schaffen!“ Damit schien eine Vision geboren. Denn zuvor hatte Peggy nie davon gesprochen. Es war eine wirklich kühne Hoffnung, von der nicht einmal ich etwas wusste. Und vielleicht wusste sie es bis zu diesem Moment selbst nicht. – Ich fand es ehrlich gesagt etwas großspurig, aber es war wie ein Samenkorn, das nun mit Wasser versorgt wurde und tatsächlich zu wachsen begann.
Peggy beschrieb mir dann in allen Facetten, wie es wäre, in der Landesliga zu spielen: Diese vollen Hallen, all die parallelen Matches, das schnelle, rhythmische Klacken der Bälle, die Anspannung und Konzentration im Raum. Sie stünde auch ganz anders an der Tischtennisplatte, überhaupt wäre vieles ganz anders, wenn sie in der Landesliga spielt. Damit meinte sie nicht die schicken Trikots, all die Auswärtsspiele und dass sich die Medien vielleicht für sie interessieren würden. Nein: Ihr Spiel würde anders sein, sie würde die Gegnerinnen anders sehen, vielleicht auf etwas mehr Distanz. Sie würde ihren Mut und ihre Energie spüren, wenn sie an der Platte steht. Und die Geschwindigkeit wäre gar nicht mehr so wichtig, sondern die ruhige Konzentration auf die Spieltechnik und die Bewegungsabläufe der Gegnerin, um abzuschätzen, in welche Bahn sie den nächsten Ball lenken würde. Damit könne sie ihre Spieltechniken gezielter einsetzen. – Peggy beschrieb mir sogar, wie sich der Pokal anfühle. In ihrer Vorstellung hielt sie ihn bereits in den Händen. Das musste sie von ihren Mentalcoaches haben. So sprach sie vorher nie.
„Und weißt Du was, sagte sie zu mir: Ein bisschen gelingt mir das auch heute schon. Erinnerst Du Dich an das Spiel gegen die Müller in Berlin? Das ging schon etwas in diese Richtung. Da war ich im Innern ganz ruhig und nach Außen spielte ich geniale Schmetterbälle. Oder das Doppel gegen die Mannheimer. Das war technisch ziemlich perfekt und wir konnten die meisten Sätze für uns verbuchen.“
In diesen Momenten war sie intensiv mit ihren Ressourcen verbunden. Sie vertraute sich und die Landesliga erschien ihr erreichbar. Dieses Erleben verstärkte sich, je häufiger sie davon sprach. Peggy wollte den Aufstieg mit jeder ihrer Fasern. Im Coaching wurde sie gefragt, wie sehr sie daran glauben würde, jemals in der Landesliga zu spielen. Auf einer Skala von 1 bis 10 ordnete sie sich dabei auf 9 ein.
Ich fand das wirklich spannend, was da im Mentalcoaching geschah: Offenbar lenkten sie den Aufmerksamkeitsfokus auf all das, was zum Gelingen beitragen könnte oder bereits gut gelingt. Und sie fokussierten auf alle Sinne: wie die Atmosphäre in der Halle sei, welche Geräusche sie hören würde, wie sie sich körperlich und emotional fühlen würde. Das alles verbanden sie eng mit der Zielvision.
Peggys Tischtennisspiel veränderte sich tatsächlich. Irgendetwas an ihrer inneren Haltung war anders. Sie wirkte ruhiger – tatsächlich fokussierter. Das war sehr beeindruckend.
Einmal erzählte sie mir, dass wir alle bei ihrem Coaching dabei gewesen wären: unsere Trainerin, unser ganzes Tischtennisteam, sogar einige Gegnerinnen. Daran konnte ich mich gar nicht erinnern. Sie meinte natürlich, wir wären nur gedanklich anwesend gewesen. Das beruhigte mich. Sie sprach von sogenannten Perspektivwechseln. Dabei hätte sie sich in jede von uns hineinversetzt und dann ihr eigenes Spiel beobachtet. Aus Sicht der Gegnerin sei das besonders aufschlussreich gewesen. Sie konnte die Wirkung ihrer eigenen Bewegungen erahnen und welchen Unterschied es machte, ob sie nur auf den Tischtennisschläger oder dem Gegenüber ruhig in die Augen sah. Die Aufmerksamkeit wurde auf die Beobachtung der Beobachtung gelenkt.
Die Mentalcoaches machten auch lustige Fragespiele: Mal angenommen, Peggy wollte wieder wie in der Kreisklasse spielen, wie müsste sie spielen und wie auftreten? Und woran würden andere, z. B. ich, erkennen, dass sie wieder wie in der Kreisklasse spiele? Selbst ich habe durchschaut, dass der Fokus der Aufmerksamkeit auf der Wahrnehmung des Unterschiedes und damit auf die bereits erfolgte Entwicklung in ihrem Spiel lag.
Ein andermal sollte sie sagen, woran unsere Trainerin merken würde, dass sie der Landesliga bereits einen Schritt näher gekommen sei. Und woran ihre Gegnerinnen, die Zuschauerinnen oder die Sportjournalistin dies merken würden. Wer von ihnen würde es zuerst bemerken und welche Auswirkungen hätte das wohl. Für mich klang das alles ziemlich hypothetisch! „Ja genau,“ sagte Peggy. „Meine Mentalcoaches arbeiten mit hypothetischen Fragen. So könne der Aufmerksamkeitsfokus auf Unterschiede gelenkt werden, die wir sonst kaum wahrnehmen würden.“
Sie schien sich ihrem Ziel auf verschiedenen Ebenen zu nähern: Sie trainierte körperlich und bereitete sich mental auf erfolgreiche Spiele vor. Das war ein gewaltiger Unterschied: vom Sieg auszugehen! Und das hatte Auswirkungen auf ihre innere Haltung an der Tischtennisplatte, auf den Kontakt zu ihrer Mitspielerin, auf jeden Aufschlag. Es schien mehrere Wechselwirkungen zu geben zwischen ihrer Haltung und dem beobachtbaren Spiel. Einmal quasi innerhalb von Peggy. Man könnte es intrapersonal nennen. Hier zentrierte sie sich und erlaubte sich zu gewinnen. Zum anderen zwischen Peggy und ihrer Gegnerin, also interpersonal. Das war interessant: Peggy wirkte für ihre Mitspielerinnen schon zu Beginn eines Matches überlegen. Sie kam, um zu gewinnen. Das strahlte sie durch ihre Blicke, Schritte und Aufschläge aus. Selbst erfahrene Spielerinnen wirkten irritiert, manchmal fast eingeschüchtert.
Nach einem Match wurden üblicherweise im Team alle Fehler und Unzulänglichkeiten ausführlich besprochen. Für Peggy wurden sie zunehmend nebensächlich. Sie richtete ihren Fokus immer wieder auf den Erfolg und auf Gelungenes. „Energy flows, where attention goes[1],“ sagte sie dann. Ich finde, da ist was dran und Peggys Erfolg ist ein Beweis!
Erstaunlicherweise schien Sprache im Trainingscamp eine wichtige Rolle zu spielen. Dabei wird beim Tischtennisspiel eigentlich recht wenig geredet. Die Mentalcoaches waren sprachlich außerordentlich kreativ: So wurde aus einem Punktverlust die Möglichkeit, die Strategie der Gegnerin kennenzulernen und daraus für die eigene Spieltechnik zu lernen. So kann man das natürlich auch sehen. Man könnte es als Umdeutung bezeichnen.
Sprache beeinflusst vermutlich unsere Wahrnehmung. Und wie wir etwas benennen, wirkt sich auf unser Denken und Fühlen aus. Aus dem Punktverlust wird eine Chance. Damit sieht die Welt doch viel freundlicher aus. Es gibt Energie und Mut für den nächsten Aufschlag.
Außerdem wurde alles auf seine Bedeutung hin untersucht: Was genau es denn bedeute, das Tempo anzuziehen. Ist doch eigentlich ganz logisch, man spielt eben schneller. Peggy sollte dann immer detailliert beschreiben, was sie dann tut oder wie sie etwas spürt. Dabei analysierte sie z. B. ihre Bewegungsabläufe und nahm wahr, dass sie ihren festen Stand verlor, weil sie nur noch mit dem vorderen Fußbereich den Boden berührte. Das ist wirklich ungünstig und im normalen Training hätte sie das nie bemerkt. Auch hier wurde also der Fokus der Aufmerksamkeit ausgerichtet.
Über die Aufmerksamkeitsfokussierung steuern und gestalten wir unser Erleben. Dazu können uns in jedem Moment neu entscheiden, welchen Fokus wir setzen – auf den Punktverlust oder die Chance. Damit beeinflussen wir unsere Wahrnehmung und schaffen unsere eigene Wirklichkeit, die bei Peggy mit dem Erreichen der Landesliga verbunden ist.
Aus dem Trainingscamp kam Peggy mit einem neuen Blick auf sich selbst und ihre Gegnerinnen zurück. Über die gezielte Aufmerksamkeitsfokussierung war es gelungen, ihr Potenzial erkennbar zu entfalten. Ihr Tischtennisspiel veränderte sich und sie stieg relativ schnell in die Bezirksliga auf. Aktuell ist sie tatsächlich für die Landesliga nominiert und steht damit kurz vor dem Erreichen ihrer Zielvision.
Wie in dieser (völlig hypothetischen) Geschichte der Tischtennislegende Peggy Pong, können auch andere systemisch-lösungsorientiert begleitete Entwicklungsprozesse gestaltet werden. Als systemische Supervisor/-innen orientieren wir uns dabei an der individuellen Zielvision der Supervisand/-in. Für den Prozess nutzen wir dann die vielen Facetten der Aufmerksamkeitsfokussierungen: auf Unterschiede, Ressourcen und Möglichkeitsräume, auf das Erleben sinnlicher, emotionaler, körperlicher und kognitive Eindrücke, auf Innere Anteile und vieles mehr.
[1] Milton Erickson